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Fünf unterschätzte Tatsachen bei Nachhaltigkeitszertifikaten für Immobilien

Auf einen Blick ist jedem klar: Die Note 1 stand und steht an deutschen Schulen für Bestleistungen. Auf den zweiten Blick aber zeigt sich: Die Leistungskriterien für die Vergabe der Noten werden immer wieder verändert, und nicht jedem ist bewusst, dass Lehrerinnen und Lehrer heute eine Note 1 nicht zu den gleichen Bedingungen vergeben dürfen wie noch vor wenigen Jahren. Bei der Bewertung von Nachhaltigkeit bei Immobilien ist das ähnlich: Die Rahmenbedingungen für Green Buildings ändern sich permanent. Beleuchten wir fünf aktuell unterschätzte Tatsachen auf dem Zertifizierungsmarkt. Wir haben sie abgeleitet aus bislang 450 Bestandszertifizierungen und etwa 100 Neubauzertifizierungen, die wir für sämtliche Nutzungsarten von der Einzelimmobilie bis zum Portfolio länderübergreifend durchgeführt haben.

1. Ablösung und Ergänzung der Platzhirsche

Die meisten Marktteilnehmer denken bei Green-Building-Zertifikaten zuerst an die lange etablierten LEED, DGNB und BREEAM. Aber es kommen ständig neue Systeme hinzu. Vermeintliche Randbereiche werden von manchem Eigentümer oder Entwickler mittlerweile obligatorisch zu Nachhaltigkeit und ESG gezählt und entsprechend zertifiziert: Felder sind die Gesundheitswirkung eines Gebäudes (WELL-Zertifikat), die Ausfallsicherheit der digitalen Infrastruktur (WiredScore) oder auch die Smart-Building-Qualitäten (SmartScore) – letztere zwei oftmals unter ESG-Resilience zusammengefasst. Insgesamt gilt: Man darf das Potenzial der jungen Zertifikate nicht unterschätzen, die alten Platzhirsche zu verdrängen oder zumindest zu ergänzen. Wir beobachten die Entwicklung und beraten entsprechend, welche Systeme für welchen Fall zukunftsträchtig sind. Interessant wird auch, welche Labels das Thema EU-Taxonomie sowohl im Bestand als auch im Neubau am besten aufgreifen und in ihre Systematik integrieren und damit einhergehend eine Konformitätsprüfung anbieten können.

2. Bestandszertifikat für Neubauten

Projektentwicklungen werden als Neubauten zertifiziert – logisch, oder? Fakt ist: Oft werden die Vorteile unterschätzt, eine Projektentwicklung direkt nach Fertigstellung bewusst als Bestandsgebäude zu zertifizieren. Das trifft insbesondere für eigene (Re-)Developments von Bestandshaltern zu, deren Fokus auf dem Objektbetrieb und der Nutzungsphase liegt. Hierbei wird auch die Brücke zum CSRD-Reporting geschlagen, da es gewisse Überschneidungen in den erforderlichen Daten und deren Plausibilität gibt. Man darf nicht vergessen: In Deutschland werden ab diesem Jahr sukzessive etwa 15.000 Unternehmen aller Branchen verpflichtet, jährlich einen ESG-Report zu erstellen. Auch die stetig wachsenden und sich ändernden Anforderungen, die an die Immobilienbranche gestellt werden, können tendenziell leichter respektive schneller in die Bestandssysteme aufgrund geringerer Komplexität aufgenommen werden. Mit Blick auf die Bestandszertifizierung von Neubauten darf man außerdem nicht vergessen, dass der monetäre Aufwand für den Immobilieneigentümer um Faktor 10 bis 20 niedriger liegt als bei Neubauzertifikaten. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Neubausysteme natürlich eine deutlicher detailliertere Eindringtiefe und einen höheren Detailgrad aufweisen, die den Mehraufwand rechtfertigen.

3. Mehrfachzertifizierungen für Landmark- und Trophy-Buildings

Sie sind in der Praxis seltener geworden: Mehrfachzertifizierungen. Aber es gibt sie immer noch. Vor allem für Landmark- und Trophy-Buildings mit nationaler und internationaler Strahlkraft bietet es sich weiterhin an, beispielsweise LEED und DGNB gleichermaßen zu zertifizieren. Ebenso WiredScore und SmartScore. Aus unserer Erfahrung werden in der Praxis dabei oft die Effizienzhebel unterschätzt, die mit der Bündelung in einem zentralen Ansprechpartner verbunden sind: Je nach Zertifikat überschneiden sich die einzuholenden Daten um 30 Prozent oder mehr. Durch Bündelung wird also Doppelarbeit vermieden. Bei Projektentwicklungen kommt als Argument hinzu, dass die Baubesprechungen meist ohnehin schon durch zu viele Beteiligte aus allen Nähten platzen. Besser, es stößt nur ein Verantwortlicher für vier Zertifikate dazu statt vier für vier.

4. Quantität vor Qualität

Stichwort einzuholende Informationen: Wir beobachten, dass Bestandszertifikate bei vielen Eigentümern ein schlechteres Ergebnis einspielen, als sie eigentlich müssten. Der Grund ist, dass nicht alle erforderlichen Daten vorliegen. Teils mangelt es an den elementaren Basics wie Grundrissen der Gebäude. Hinzu kommt, dass viele Informationen zwar vorliegen, aber dermaßen atomisiert auf unterschiedliche Stellen beim Eigentümer und bei seinen Dienstleistern verteilt sind, sodass niemand sie im Daily Business nebenbei zusammentragen kann. Wir beobachten das nicht nur in Deutschland, sondern auch in Stockholm, Marseille, Zürich, Wien oder Paris, wo wir Zertifizierungen gemanagt haben. Dabei gilt: Die Vollständigkeit der Daten trägt in der Regel schon zu 60 Prozent zu einem guten Abschneiden bei. Dass Quantität bis zu einem gewissen Punkt tatsächlich vor Qualität steht, wird von Eigentümern und Asset-Managern fast immer eklatant unterschätzt. Engagierte Nachhaltigkeitsmanager fragen entsprechend in einem ersten Schritt die fehlenden Informationen beispielsweise zum Energieverbrauch bei den Versorgern ab und bündeln dezentrale Daten in gegebenenfalls neu aufgesetzten Datenräumen. Erneut gilt, gerade bei Portfolios ab zehn Assets und länderübergreifenden Beständen: Ein „Single Point of Contact“ ist vorteilhaft. Es spart dem Eigentümer und seinem Asset-Manager Zeit und Nerven, wenn nicht Dutzende unterschiedliche Auditoren die gleichen Daten für unterschiedliche Gebäude oder Kontakte zu Dienstleistern erfragen.

5. Fähigkeit zur BIM-readiness

Building Information Modeling (BIM) gilt seit Jahren als Schlüssel für effizienteres Planen, Bauen und Betreiben von Immobilien – es handelt sich, vereinfacht gesagt, um eine digitale Kommunikations- und Datensammelstelle. Sie kann beispielsweise KI-unterstützt unter anderem Planungskonflikte der einzelnen Fachingenieure aufzeigen und hilft, Nutzungssimulationen für unterschiedliche Architekturszenarien durchzuspielen. Auch wenn der große Durchbruch besonders bezüglich der Qualität der BIM-Modelle leider immer noch auf sich warten lässt, gibt es durchaus mehr und mehr Entwickler und Architekten, die BIM als Prozessplattform für alle Beteiligten aufsetzen und damit arbeiten. Für Nachhaltigkeitsberater, die Planungsprozesse für die Zertifizierung begleiten, bedeutet das, dass Sie eine konsistente Datengrundlage für die Erstellung von Ökobilanzen, Energie- und Tageslichtsimulationen etc. bekommen, mit der sie die Projekte ganzheitlich über alle Wirkungsbereiche optimieren können. Das erhöht die Effizienz im gesamten Planungsprozess.